Titelfoto Analog Indien Caffenol Palolem Beach

Licht und Kaffee. Analoge Fotos aus Indien

Erfahrungen und Gedanken aus meiner experimentellen Laborküche auf Reisen. 

Übersicht meiner Filme für das Projekt in Indien

Inhaltsverzeichnis:

Reisen und Fotos gehören einfach zusammen. Speziell durch analoge Fotografie bekommen Erinnerungen in unserer digitalen Zeit eine ganz besondere Materialität, Poesie und eine fast schon haptische Wahrheit. 

In diesem Beitrag möchte ich meine analogen Fotos aus Indien zeigen und Notizen dazu niederschreiben: Gedanken über das Fotografieren, Kameras, die  verschiedensten Filme und wie ich mit Kaffee unterwegs in Indien in Hotelzimmern und Strandhütten Filme entwickelt habe und was mir dabei alles passiert ist. 

„Was ich sehe, ist nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit. Alles ist Abstraktion. Schönheit entsteht erst in der Zuwendung“

Wie in einem Magazin soll diese Seite zum herumblättern einladen. Es ist nicht nötig all den Text zu lesen. Überfliegt einfach die Fotogalerien, schaut vielleicht einzelne Fotos genauer an und scrollt hin und her. Das Herzstück sind die mit Kaffee unterwegs entwickelten und direkt vor Ort eingescannten indischen Schwarzweißfotos. Interessant sind oftmals aber auch die Motive der Farbfilme und einfach wunderschön sind Licht und Farben der Diafilme. Auf das für jeden etwas dabei ist und auf das jeder etwas für sich mitnehmen kann. 

Erste Eindrücke von Mumbai. Mit Caffenol und Natron entwickelte Filme. Ein Spaziergang durch Colaba und erste Fotos aus dem Trubel und Gewusel des Bazar Distrikts: 

Reisefotos, wenn sie nur Orte dokumentieren sollen, sind schnell langweilig. Aber wenn sie mir etwas bedeuten, weil sie mich erinnern, weil sie etwas bestimmtes zeigen, dass mir aufgefallen ist, dann können sie interessant werden. Zeichnen und Fotografieren sind für mich deshalb das gleiche. Beides schafft einen Zusammenhang zwischen meinem Leben und den ganzen Ereignissen um mich herum. Beides ist ein Weg sich zu positionieren. 

Sightseeing in Mumbai – Ein Vormittag mit dem CineStill X-Pro 50 Daylight Film und der Zorki4K.

Im Foto wird der Augenblick zu Material. Und das Fotomaterial wird zum Zeitzeuge. Fotos sind immer auch eine Abstraktion und dadurch eine eigene Interpretation. Aber genau in dieser Materialität liegt auch ihre Schönheit. Die Vereinfachung, ausgewählte Details, kurze, flüchtige Momente, Eindrücke im Straßenleben können plötzlich fast ein bisschen sowas wie Ewigkeit und Wahrheit werden. Situationen werden herausgestellt, das Eigenleben der Dinge kann im Foto nachklingen. 

Mumbai im Diafilm. Für den direkten Vergleich habe ich hier auch Fotos der selben Situationen wie beim Sightseeing auf Colornegativ-Film. Der größte Waschsalon der Stadt – Dhobi Ghat – wirkt hier z.B. etwas rötlicher. Ich finde es spannend zu forschen, was wohl die ‚wirklichen‘ Farben der Dinge sind. Das hängt von so vielen Faktoren ab… Nur bei Dias kann man das Bild mit bloßem Auge direkt überprüfen. 

Meine drei alten Kameras, vor allem die Zorki, aber auch die kleine Rollei und die immer wieder verblüffend charmante Kiev haben alle Eskapaden treu mitgemacht. Meerwasser, Sand und Hitze – alles ohne Zicken gut überstanden. 

2. FEBRUAR 2020 / Mumbai, Maharashtra.
Filmentwicklung mit Natron / Sodium Bicarbonate.

Filmentwicklung im Hotel in Mumbai

In verschiedenen Apotheken und Haushalts-Chemieläden in Colaba gefragt – niemand hatte Sodium Carbonate. Unter Waschsoda (washing soda) verstehen sie hier „Washing Powder“. So habe ich stattdessen Sodium Bi-Carbonate (gemeinhin als Natron bekannt) gekauft.
In einem Blog fand ich den Hinweis, dass es auch mit Natron ginge, wenn man 2,7 mal mehr nimmt. Aber was: 2,7 mal vom Gewicht, oder 2,7 mal mehr vom Volumen? Für mein Caffenol-C-L Rezept versuche ich demnach auf 600 ml Wasser 25 Gramm Natron statt 10 Gramm Soda. Kurioserweise ist das vom Volumen her gleich (ich vermute, weil Sodium Bi Carbonate Waser enthält, ist es schwerer) – beides ist etwas mehr als ein halbes Filmdöschen voll.
Dazu nehme ich 3 Filmdöschen Nescafe, einen Deckel vom Filmdöschen voll Vitamin C und 2 Messlöffelchen Kaliumbromide. Das ganze schäumt fürchterlich! Es ist ein cremiger, fester Schaum und hinterlässt ein seifiges Gefühl an den Händen. Nachdem ein großer Teil des CO2 entwichen ist, riecht es aber sehr lecker, wie Kaffee.

Mit diesem Caffenol habe ich meinen ersten Film, einen Ilford Delta 3200, nicht entwickelt bekommen. Nach 65 Minuten bei ungefähr 26 Grad Raumtemperatur konnte man nur sehr schemenhaft ein beleuchtetes Bahnhofsschild erkennen.
Besser gelungen ist der Kosmos Film, nach 94 Minuten. Die reine Stand-Entwicklung, ohne Schütteln, hat in diesem Fall an einigen Stellen auf dem Film den schönen Effekt ergeben, dass über den Perforationslöchern lange helle, weniger entwickelte Streifen in das Bild hinein strahlen. Das korrespondiert sehr trefflich mit dem Zebrastreifen auf dem Foto.
Den Washi A Film aus Khotatchiwadi habe ich 100 Minuten im Natron-Caffenol entwickelt und im Gegensatz zu den vorherigen regelmäßig bewegt. Das Ergebnis sieht gut aus. 

Nur wenn ich etwas bestimmtes will, kann ich daran arbeiten: Druck aufbauen und gezielt einsetzten. Nur wer sich fokussiert, kann sich verbessern. Es geht nicht alles, ich kann nicht alles machen. Besser: Versuchen an meine bisherigen Erfolge anzuknüpfen und die Dinge zu optimieren.
Fokussieren: Nur in einen streng abgegrenzten Raum kann Licht einfallen und Bilder aufzeichnen – nur eine wirklich abgeschirmte Kamera kann Fotos aufnehmen.

„There are millions of stars – but only one you.“

Mitten in Mumbai, zwischen Hochhaus-Baustellen und großen Verkehrsadern liegt Khotatchiwadi. Ein kleines „Dorf“ mit Holzhäuschen im portugiesischen Stil und gemütlichem Charme.
Bei meinem Besuch an einem Sonntag Vormittag spielen die Einwohner auf der Straße Cricket.

Reproduktion ist Transformation. Während die Dinge im Lauf der Zeit alle mehr und mehr zerfallen, schafft das Leben Neues. Beim Fotografieren mit einer alten Kamera erlebe ich die Spuren der Gegenwart und die Zeichen der Zukunft besonders intensiv. Zum Beispiel LED-Lichterketten, die Farben und Formen der Dinge, das viele Plastik… Aber es wird auch schön sichtbar, was bleibt. 

Die volle Dröhnung an Eindrücken, Farben und Klängen ist der Bazar Distrikt von Mumbai. Zu Fuß bin ich vom Chor Bazaar immer weiter nach Süden bis zum Crawford Market gelaufen und habe fotografiert. Mit der Zorki auf Kodak Portra 160 Film. 

Notizen und Gedanken über Menschen und einzelne Begegnungen unterwegs auf Reisen:
Wenn man reist, erlebt man vor allem sich selbst. Umso interessanter ist es aber, neben dem Staunen und der großen Fülle an exotischen und manchmal auch überfordernden Eindrücke zu versuchen fremde Menschen kennenzulernen. Natürlich kann ich mir kein Pauschalurteil über die Leute in Indien erlauben. Es ist wie in jedem Land: Kennt man ein paar, kennt man noch nicht alle. Aber was mich doch erstaunt hat, ist das große Sicherheitsbedürfnis der Leute. Witzigerweise haben mich sehr viele Inder vor Kriminellen gewarnt. Ein Mann aus Mumbai meinte, die Christen in Goa wären alles Verbrecher. Die Menschen in Goa denken, Mumbai sei ein schreckliches, großes Verbrecherloch und in Hampi ist man gottfroh, dass es so ruhig und dörflich ist – weil in den Städten sind alles Verbrecher! Zum Glück kann ich das nicht bestätigen. Oft wird man ums Ohr gehauen und bezahlt zu viel, jedoch gestohlen wurde mir nie etwas.
Oft hatte ich den Eindruck, dass die Menschen, welche ich getroffen habe, genau so überfordert und sprachlos ob der rasanten Entwicklung und den vielen Veränderungen in ihrem Land sind, wie ich. Indiens Städte sind riesige Baustellen und so dynamisch sich wandelnde Moloche – es ist fast schon unmenschlich. Das ganze Land scheint sich umzukrempeln.
Gerade ältere Menschen und viele, die noch nicht so eine gute Bildung haben konnten, stehen ratlos daneben. Dazu kommt, dass die Familie sehr viel mehr zählt, als bei uns. Dadurch, dass so viele Menschen in den Städten ihr Glück versuchen müssen und auch weil so viele Familien auseinander gerissen sind, schürt das die Ängste und Sorgen der Menschen.
Wer als Gast an einer Kreuzung steht und einfach nur das bunte Treiben beobachtet, verliert schnell den individuellen Menschen aus dem Blick. Wann immer ich aber jemanden besser kennenlernen konnte, sei es meine Gastfamilie beim Homestay in Hampi, sei es mein Sitznachbar bei einer langen Zugfahrt oder jemand, mit dem ich mir ein Taxi geteilt habe    ich fand die Menschen überall ziemlich sorgfältig, vorsichtig und größtenteils auch verständnisvoll.
Sehr oft sieht man die Mühe, die extrem harte körperliche Arbeit, der verzweifelte Versuch etwas zu tun, die Not etwas zu verkaufen, ein Produkt herzustellen… Viele Dinge sind nicht perfekt, aber oft im Rahmen der denkbaren und verfügbaren Mittel liebevoll und mit ganzer Hingabe gemacht. Für die Augen des Gastes sind es oft gerade diese Eindrücke, die sich am tiefsten einprägen: Die unglaublichen Abgründe und Extreme der menschlichen Existenz. Größte Armut aber auch zauberhafte Schönheit liegen in Indien sehr nah beieinander.

Der französische Washi Film „F“ ist ursprünglich ein Röntgenfilm, der für die Diagnose von Lungenerkrankungen entwickelt wurde. Mit der Kiev4 war ich einen Nachmittag bei wunderschönem Licht in Panjim, in der Hauptstadt von Goa unterwegs und habe diese Fotos gemacht. 

5. FEBRUAR 2020 / Panjim, Goa.
Filmentwicklung bei hohen Temperaturen.

Heißes Caffenol

Mit dem richtigen Wash-Soda (Sodium Carbonate – NICHT Sodium Bi-Carbonate), welches ich letztendlich im nördlichen Bazar District in Mumbai an einem Stand für Beizmittel und Lacke geschenkt bekam, habe ich das feine Caffenol Rezept gemischt (Caffenol C-L ). 600 ml Wasser, 1/2 Filmdöschen Soda, 3 Filmdöschen voll Nescafe, 1 Filmdöschen-Deckel Vitamin C und 0,7 Gramm (2 Messlöffel vom Vitamin C) Kaliumbroid. Nach den Versuchen mit Natron (Sodium Bicarbonate) in Mumbai und Entwicklungszeiten von über 100 Minuten bei 30 Grad riecht es jetzt mehr so, wie man es vom Caffenol kennt. Ich habe aber die Vermutung, dass das Soda auch schon etwas älter ist und Wasser gezogen hat – es riecht auf jeden Fall viel weniger streng, als mein Washsoda zuhause. Bei 31 Grad in Goa am Abend denke ich mir Entwicklungszeiten von etwa 60 Minuten als ersten Richtwert. Zuhause, bei etwa 20 Grad sind 70 Minuten in frischem Caffenol C-L für den Washi-F Film definitiv zu viel. Sehr gut geglückt ist er mir jetzt aber im Caffenol vom Vortag, welches ich mit 3 Esslöffeln Nescafe aufgefrischt habe. Nach 60 Minuten semi-stand Entwicklung, mit nur ab und zu Schütteln, sieht der Film perfekt aus.  

Panjim ist ein bisschen wie das Las Vegas von Indien. Vor der Küste liegen riesige bunt leuchtende Casino-Schiffe. Viele vor allem junge Männer verabreden sich zu einer vergnügten Nacht mit Freunden und verspielen hier ihr Geld.

Casinos in Goa. Langzeitbelichtungen Nachts in Panjim mit der Zorki und Cinestill X-Pro 800 Tungsten Film. 

Nach der Hauptstadt Panjim wollte ich ans Meer in Goa. Ich bin in Benaulim gelandet. Benaulim ist ein Rentnerparadies. Beim Abendessen war ich mit etwa 20 leicht und auch ordentlich beschwipsten, vergnügten britischen Senioren zusammen am Schmausen. Ansonsten gibt es viele Familien aus Russland. 

Mit der Zorki habe ich meinen ersten Tag am Meer in Goa verbracht. Abendlicht in Benaulim mit dem restlichen Cinestill X-Pro 800 Tungsten Film. Bemerkenswert sind die kleinen kreisroten pinken Punkte auf manchen Fotos. Das sind Bildfehler, für die ich noch keine genaue Erklärung finden konnte. 

Eine ziemliche Rarität ist der Agfachrome RSX II Diafilm. In den 80er Jahren eher für professionelle Ansprüche entwickelt, hatte ich Glück und konnte noch ein paar Rollen bei ebay ersteigern. Diese Exemplare waren im Jahr 2007 abgelaufen. Auch bei den sommerlichen Temperaturen und der ungewissen Lagerung des Materials war es auf jeden Fall ein ziemlich gewagtes Experiment.

Ein Tag in Benaulim mit der Zorki und abgelaufenem AGFA RSX 2 Diafilm. Die Farben sind ein bisschen ungewöhnlich und vielleicht etwas zu violett, aber dieser Effekt kommt der Abendstimmung sehr zugute. Besonders den Palmenhain im Licht der untergehenden Sonne mit ein paar Fischerbooten finde ich geglückt. Es ist die gleiche Szene wie am Abend vorher mit Cinestill 800 Tungsten Film, nur diesmal ohne Mond. Wie auch bei den Dhobi Ghats in Mumbai sieht man hier wieder die vielen Unterschiede der Farben und die Subjektivität der Eindrücke, je nach Film.

Ein ganz anderer Diafilm, nagelneu und mit erst vor kurzem wieder neu entwickelter Emulsion ist der Kodak Ektachrome E100. Im direkten Vergleich zu den vorherigen Fotos aus Benaulim wirken diese Fotos aus der Rollei 35 weniger ‚retro‘ und in meinen Augen fast schon modern.

Benaulim im Abendlicht. Fast schon bonbonfarbene Fotos auf Kodak E100 Diafilm mit der Rollei: 

Nach Benaulim und all dem süßen Schmelz und Candy-Colored Kitsch der Sonnenuntergänge am Meer bin ich weiter in den Süden gefahren. Palolem ist viel weniger ein Rentnerparadies. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und blieb fast zwei Wochen.

Hier eine Auswahl meiner interessantesten Fotos aus dem Experimental-Labor in Palolem. Mit Kaffee entwickelt und direkt vor Ort eingescannt. Ob das nicht ganz keimfreie Wasser aus großen Plastiktanks, der indische Nescafé und die sommerlichen Temperaturen ihre Spuren hinterlassen haben? Auf jeden Fall der Sand, der mir einmal einen ganzen Film ziemlich zerkratzt hat. 

10. FEBRUAR 2020 / Palolem, Goa.
Mein „Feines Caffenol“ Rezept.
Film trocknen

600 ml Wasser
1/2 Filmdöschen Waschsoda
1 Deckel des Filmdöschens voll Vitamin C
2 Messlöffelchen (ungefähr 0,7 Gramm) Kaliumbromid
3 Filmdöschen voll Nescafe

Bei etwa 26-28 Grad Raumtemperatur 60 Minuten Entwicklungszeit. Ich belichte meine Filme aber oft sehr herzhaft. Für zarter belichtende Fotografen müssten die Zeiten sicherlich länger sein, 70 Minuten sind dann glaube ich ein guter Richtwert. 

Hier ein paar ziemlich wahre Fotografen-Weisheiten:

„In der grellen Mittagssonne, sind die Bilder für die Tonne.“

„Zwischen eins und drei, hat der Fotograf frei.“

„Fotos zwischen elf und vier? Übe besser Klavier!“

13. Februar 2020 / Palolem, Goa.
Alter Kaffee
Im alten Caffenol von vor drei Tagen habe ich versucht 60 Minuten lang einen Adox Silvermax Film zu entwickeln. Das ging ziemlich schief. Ich vermute, dass sich das Vitamin C zersetzt hat, jedenfalls ist der Film sehr unterentwickelt. Nur die sehr stark überbelichteten Fotos sind gelungen. Die aber dafür sogar sehr hübsch: Ich war ganz vorne mit dem Schiff draußen auf dem Meer; die Zorki voll Wasser gespritzt.

Fazit: Caffenol funktioniert nur frisch, maximal einen Tag alt. Ansonsten wird es zu schwach. 

Um Nuem Beach und Agonda herum ist es sehr schön. Mit einem Roller erkunde ich die Gegend. Speziell die Küstenstraße fühlt sich an wie ein goldener Weg ins Sommerglück. Hügelig, dichtes Grün und überall Palmen… Hier unterwegs habe ich viele Fotos unter greller Mittagssonne gemacht. Nicht wie man es sollte, aber vielleicht gerade deswegen und im Vergleich zu den weichen Kontrasten und vollen Farben der vorherigen Filme aus Benaulim interessant.

Ein schöner Tag in Palolem – Strandspaziergang und Ausflug mit dem Scooty/Motorroller. Mit der Zorki auf Kodak Ektar 100 Film. 

Mit einem eigenen Projekt, einem Auftrag (wie z.B. für den Wald oder in Tschernobyl) ist es einfach zu fotografieren. Aber was macht man am Strand? Nach zwei Wochen und 18 Filmen bin ich mittlerweise etwas frustriert: Die Ergebnisse meiner photografischen Eskapaden sind sehr oft nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich glaube, ich sollte viel gezielter etwas bestimmtes versuchen. Die Themen, Motive und technischen Experimente eingrenzen.
Ich versuche gezielt Motive am Meer zu finden und möchte weniger in der Mittagssonne – für die Tonne – fotografieren. Merke: Zwischen elf und drei hat der Fotograf frei. 

Mögliche Motive am Meer: Muster, Schatten, Menschen, Tiere, Palmen, Strand, Wasser, Gegenlicht, Felsen Fischerboote, Wellenspiele, Schaum & Gischt, Portraits der Schmuck- und Henna Verkäuferinnen, Glänzendes, Spiegelndes und Reflektierender Strand, direkt hinter der Wasserkante. 

Manchmal geht man einfach herum und findet ein Motiv nach dem anderen – Fotografieren wird zum Selbstläufer. Dann probiert man etwas aus, versucht noch einen anderen Blickwinkel… Viel mehr als das Motiv ist es aber das Licht, welches inspiriert. Also: Wenn man losläuft und die Kamera noch tief unten im Rucksack hat, ist es meistens das besonders schöne Licht in einem Moment, welches den ersten Impuls gibt um sie doch nochmal heraus zu kramen und ein Foto zu machen. 

Dieser Adox Scala 50 Schwarzweiß-Diafilm ist in vielerlei Hinsicht etwas besonderes.
Ich wollte an dem Tag eigentlich gar nicht fotografieren, sondern einmal innehalten und genau überlegen; neue Pläne und Konzepte schmieden um meine Fotos besser zu fokussieren. Dann war aber das Abendlicht so schön, dass ich einfach loslaufen musste. Und immer wieder wurde ich hingerissen um die Zorki aufs neue aus dem Rucksack zu kramen. Bis der Film plötzlich einfach voll war.

Technisch ist es mein kompliziertester Film, weil ich die Umkehrentwicklung nicht selber machen konnte und ihn erst nach meiner Rückkehr zum Photostudio 13 in Stuttgart eingeschickt habe.
Fotografisch ist er ziemlich kniffelig, weil ich im Gegensatz zu den meisten Negativfilmen die Belichtungszeiten relativ eng im Auge behalten musste. Das ist bei Gegenlicht am Abend gar nicht so einfach. 

Notizen und Gedanken über das Technische: 
Egal wie man sich mit Fotografie beschäftigt – meistens schon ziemlich gleich nach den ersten Anläufen stößt man immer wieder auf die Technik. Es fängt ja schon mit der grundsätzlichen Entscheidung an, analog zu fotografieren. Wenn man, wie wir heutzutage, die Wahl hat und trotz Digitalkamera einen Film kauft, dann ist das natürlich auch eine technische Entscheidung.
Ich glaube in keiner anderen Kunstform wird so viel über die Technik gesprochen. Die Wahl der Kamera, das Objektiv bis hin zu den Einstellungsmöglichkeiten von Blende und Zeit… Dann spielt der Film eine große Rolle und die Entwicklung. Scannen und die Arbeit in der Dunkelkammer sind schließlich ganz große eigene handwerkliche Fertigkeiten, mit einem sehr fundierten Erfahrungsschatz. Alles nicht so einfach!

Mit dem ersten Foto eines neuen Filmes fängt alles wieder von vorne an. Hier habe ich eine kleine Auswahl mit „Ersten Fotos“ von meiner Indienreise: 

Oft ist die Technik Ausgangspunkt für künstlerische Aktivitäten.
Fotografen haben eine neue Kamera, ein neues Objektiv und probieren das dann aus. Auch Filme und Entwickler sind solche technischen Spielwiesen. Bei aller Technik und Experimentierfreude sollte man aber nicht vergessen, dass die Technik nur das Medium ist. Den Inhalt muss man als Fotograf trotz allem immer selber finden. Oft lenkt die Technik ab und es gibt gar keinen Inhalt. Bei den meisten Beiträgen im Bereich Fotografie: Blogs, Foren und viele Hashtags im Internet werden Fotos überwiegend über die technische Seite definiert und der künstlerische Aspekt scheint irgendwie tabu.

Viele Qualitäten sind in der Tat auch technischer Natur. Der Kontrast im Bild wird z.B. maßgeblich bei der Entwicklung beeinflusst. Die Schärfe der Details ist eine Sache im Wechselspiel der Blendenöffnung und generell des Objektivs.
Der Ausschnitt und die Komposition sind dagegen ganz klar künstlerisch und selbst bei modernsten Digitalkameras allein in der Hand des Fotografen.
Unscharfe und flaue, kontrastarme Bilder, verwackelt und schief – das ist selten gut. Allerdings kann es auch gerade spannend sein: Besonderes Licht, eigenwillige Komposition, das Spiel mit der Schärfentiefe… Erst wo das Technische offensichtlich beherrscht wird, gesteht man dem Bild auch eine künstlerische Schöpfungshöhe zu. Wenn beides stimmt, ist es langfristig interessant und gut.

Projekte helfen beim fotografieren, um das Augenmerk auf etwas zu richten. Der eigene Fokus wird geschärft. Dabei lernt man nicht nur viel – plötzlich steht das Technische nicht mehr so sehr im Vordergrund, sondern wird zum Diener des Motivs.
Mein erstes Reise-Projekt hat sich diesmal in Panjim ergeben. Seitdem sind mir immer wieder die besonderen Schaufensterpuppen in Indien aufgefallen. Über den Rest der Reise habe ich so einige Portraits gemacht.

Schaufensterpuppen mit Kaffee entwickelt. Hier ein kleiner Einblick in meine Sammlung aus Goa: 

Von allen analogen Filmen die ich kenne, sind die der Firma Fuji meiner Meinung nach die, welche dem Stil einer digitalen Fotografie am nächsten kommen. Die Farben sind so exakt abgestimmt, dass es fast schon uncharmant wirklich wird. Da hilft dann auch keine alte Vintage-Kamera. Es sieht fast aus wie ein (ganz normales) digitales Foto.

Für mein Schaufensterpuppen-Projekt habe ich diese Portraits mit Fuji Pro 400H und Fuji Superia Venus 800 Filmen gemacht. 

Alten Photographien gesteht man mehr Poesie zu. Sie dürfen ruhiger sein und man ist offener für ihre Details und besondere Kleinigkeiten. Gerade in diesen manchmal nur feinen Nuancen zeigt sich dann die Perfektion und die Schönheit in zweierlei Hinsicht. Technisch und Künstlerisch. Besonders gilt das für alte Schwarzweißfotos.
Neuen Fotos gegenüber, bei zeitgenössischen Arbeiten, ist man weniger geduldig. Sie müssen ihren Zauber direkt verschießen.
2006 war ich schon einmal in Indien. Damals hatte ich meine erste Digitale Kamera gerade neu. Daneben habe ich aber über die ganze Reise hin einen Film fotografiert. Anders als jetzt, wo ich einen ganzen Karton mit verschiedensten Filmen dabei habe, war das damals mein einziger: Ein Fuji Superia 200 Farbfilm.

Ein Film für eine ganze Reise. Meine ersten Fotos aus Indien im Jahr 2006: 

Drei Wege führen in die Kunst: Ich, das Motiv und das Material. 
Alle drei gemeinsam verbinden sich im Kunstwerk. Viele Künstler haben ihren Schwerpunkt aber einseitig, besonders auf einem der Wege. Der Weg über das Ich ist z.B. bei Performances sehr klar, bei biografischen Arbeiten… Das Motiv ist z.B. bei Dokumentationen die Motivation, aber es findet sich auch in einer vielschichtigeren Weise bei vielen Popart-Künstlern… Über das Material gehen schließlich sehr viele bildhauerische Arbeiten, Land-Art aber auch Techniken wie die Collage…

Warum es wichtig ist, dass alle drei Aspekte im Kunstwerk zusammen finden, erkennt man, wenn man sich nur Zweierkombinationen der drei Wege ausdenkt. Es wird deutlich, dass solche Werke unvollständig sind und das jeweils etwas Wichtiges fehlt. Zum Beispiel:

  • ICH + MATERIAL – MOTIV = Psycho-Kunst. Nur schwer auszuhalten und schon nach wenigen Arbeiten langweilig. Man hat nichts, woran man sich festhalten kann und ist dem „Künstler“ mit seinem ungebändigten Schaffensdrang hilflos ausgeliefert.
  • MATERIAL + MOTIV – ICH = Im besten Fall Kitsch. Das bewegt sich eher auf dem Niveau einer Überwachungskamera. Ohne eigenen Anspruch und ohne künstlerische Schöpfungshöhe. Lieblos hingemalte Blumenvasen, bunte Strukturpasten und Dekorationen…
  • ICH + MOTIV – MATERIAL = Schlecht gemachte Arbeit. Wird das Material und die Technik nicht beherrscht, hilft auch eine tolle Idee nur wenig. Wenn man etwas nicht kann, wird’s auch nichts.

Bei diesen drei Vergleichen merkt man schon: Besonders eklatant fällt ein Fehler in der Technik ins Auge. In den anderen beiden Bereichen ist es viel subtiler und die Grenzen sind manchmal gar nicht so einfach auszuloten. Deshalb berufen sich auch so viele auf die Technik. „Wir glauben an unsere Technologien und arbeiten ständig daran sie besser zu machen…“ Das ist ein Spruch, wie man ihn in ähnlicher Form schon oft irgendwo gelesen hat. Sehr viel merkwürdiger und gar nicht so selbstverständlich wäre zu sagen „Ich glaube an meine Kunst und arbeite ständig daran sie besser zu machen“.

Von Goa bin ich mit dem Zug nach Hampi im indischen Bundesstaat Karnataka gefahren. Hampi ist eine alte Ruinenstadt in einem fast magisch wirkenden Tal zwischen riesigen Felsen.
Alte Tempel, Ruinen von Palästen, große runde Felsformen und die besondere Atmosphäre um den Fluß machen Hampi überaus fotogen und schaffen einen Ort voller Zauber.

Ein festlicher Morgen in Hampi. Mit der Zorki auf Kodak Portra 400 Film. Vor allen Häusern haben die Menschen schöne und bunte Mandala artige Formen ausgelegt. Im frühen Morgenlicht ist kaum jemand unterwegs und ich hatte die ganzen weiten Tempelruinen für mich alleine. 

Schönheit, im Sinne von ästhetisch, angenehm oder geschmackvoll spielt alleine keine große Rolle. Schönheit ist nicht ein Ergebnis, etwas dass man erreichen muss. Schönheit ist einfach nur ein Zustand – neben vielen anderen. Und nicht richtig oder falsch.
Menschen sind vor allem dann schön, wenn sie in Beziehung zueinander treten. Für sich alleine betrachtet oder in großen Gruppen zeigt sich oft nicht so sehr das Liebevolle, Gute in ihnen.

Die Tiere freuen sich, ärgern sich und machen Sachen, spielen, fühlen, genießen… Wie wir.

Monkey Business in Hampi. Ein Affe schleicht sich an und stibitzt die Tagetes-Blüten dieses Tempelopfers. 

Warum brauchen wir das Exotische und Fremde? Das Wilde, das Unbekannte und Neue ist unser Fluchtpunkt. Wir brauchen dieses Andere, um nicht an unserer eigenen Banalität zu ersticken. Aber auch, um uns abzuholen und abzugrenzen. Es ist eine Möglichkeit im hier und jetzt nicht traumatisiert zu werden: Wenn alles schief geht, wenn ich es nicht schaffe und es HIER nicht klappt, kann ich DORT neu anfangen. Irgendwann träumt jeder von einem anderswo, von einem „Plan B“.
In der Heimat, wo wir zuhause sind, sind wir stark. Aber wie ist es unterwegs? Sind wir da wie eine Schnecke ohne Haus?

In Hampi habe ich bei einer Familie gewohnt. Eine Woche lang habe ich mich wie zuhause gefühlt, mir das Bad geteilt, leckeres Dal Fry gekocht bekommen und den Kindern kleine Elefanten in ihre Schulhefte gezeichnet.

Hier ist ein Überblick von Hampi: Dias auf Fuji Velvia Film mit weiter Aussicht. Sowohl vom Hanuman Tempel als auch auf dem Matanga Hill hat man, einmal hochgestiegen, eine fantastische Rundumsicht. 

Auf der anderen Seite des Tungabhadra Flusses liegt das Dörfchen Anegundi. Es ist ein kostbarer kleiner Ort, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Bei meinem ersten Besuch habe ich nicht gewagt auch nur ein Foto zu machen. Es war das erste Mal auf dieser Indienreise, dass ich einfach nur gestaunt habe und nicht mit der Kamera in die einzigartige Atmosphäre des Moments einbrechen wollte.
Kinder spielen Murmel auf der Straße, eine Frau kocht Mangomarmelade, zwei Hähne liefern sich einen spontanen Gockel-Kampf… In Anegundi ist das Leben genau so, wie man sich das Dorfleben in einem gemütlichen kleinen Indischen Nest vorstellt.

Bei meinem zweiten Besuch in Anegundi habe ich diese Fotos gemacht. Die Entwicklung mit frischem Caffenol ist überaus kräftig geworden, außerdem sind alle Fotos ziemlich herzhaft in der Mittagssonne belichtet. So hat sich der Scanner eher mühsam durch diese Sonnengetränkten Negative fressen müssen. 

Sonnenuntergänge sind wie kaum ein anderes Ereignis im Tageslauf ein Eldorado für Fotografen.
Langfristig freue ich mich eigentlich mehr über andere Fotos: Interessante Fotos leben meistens durch etwas anderes, durch Menschen beispielsweise. Ein gutes Motiv und schönes Licht sind auf jeden Fall interessanter als der hundertste Sonnenuntergang; das denkt man sich so – und dann ist es wieder so weit. Sprachlos vor lauter Farben und im schnellen Wechsel von warmem Gelb, Gold, Orange, Rot und zartem Violett schießt man ein Foto nach dem anderen. Bis der Film voll ist.

So ist es mir mit meinen letzten Fuji Velvia Diafilmen in Hampi ergangen. Es sind ziemlich kostbare Filme, die ich hier mit der Zorki in allen möglichen Belichtungs- und Blenden-Varianten versucht habe.

Abendlicht und besondere Farben der Sonnenuntergänge in Hampi auf Fuji Velvia: 

Lieblingsbilder sind wie Glanzpunkte. Der Glanz und Zauber einer Sache ist nur punktuell sichtbar. Wie das Funkeln eines Diamanten nur an einzelne geschliffene Kanten glitzert, schient auch eine Serie mit Bildern durch einzelne, herausragende Arbeiten. Dennoch braucht es immer eine gewisse Masse, um diesen Glanz wahrnehmen zu können. Wenn ich also Fotos auswähle, muss ich abwägen. Eine Serie braucht nicht nur wenige absolute Lieblingsbilder, sondern auch interessante „Basis-Bilder“, die den Zusammenhalt stärken und die Highlights stützen. 

26. FEBRUAR 2020 / Bangalore, Karnataka.
Analoges Fotostudio in Bangalore
Bangalore ist die letzte Station dieser Indienreise. In Bangalore, gerade um die Ecke von meinem Hotel, in der Brigade Road ist der „Film Foto Store“. Ein Indisches Fotolabor wollte ich mir mal genauer anschauen und bin dort am nachmittag hin. Sie sind wirklich top ausgestattet.

Ich durfte zusehen, wie meine C-41 Filme mit einem Noritsu QSF-V50 P Entwickler in kürzester Zeit entwickelt wurden. Alle meine Farbnegativ-Filme sind nun entwickelt und werden bis morgen um 13 Uhr für mich auf einem Noritsu HS 1800 Scanner für 500 Rupien pro Filmrolle gescannt. Für die Entwicklung habe ich 200 Rupien je Film bezahlt.
So sind nicht nur die Schwarzweißfotos, sondern auch alle Farbfotos voll und ganz indisch. Einzig die Diafilme habe ich nach meiner Rückkehr einschicken müssen.

 

Bangalore ist eine überaus dynamische Großstadt. Auf all meinen Reisen habe ich noch keine so anstrengende und nervige Stadt erlebt! Lauter Verkehr, grelle Shoppingcenter und überall riesige Baustellen. Es gibt nur wenig Raum für entspannte Stunden.

In den Lal Bagh Botanical Gardens und hinter meinem Hotel in Bangalore habe ich diese Fotos gemacht: 

Erst wenn alles anders ist, erleben wir die Macht der Zeit in ihrer vollen Ganzheit: Jetzt bin ich hier! Vor einem Monat war ich dort. Was ist jetzt, was damals noch nicht war? 

Innerhalb von wenigen Wochen nach meiner Rückkehr aus Indien hat sich die Welt verändert. Durch das Corona Virus. Während ich hier schreibe, greift die Angst und Verzweiflung immer weiter um sich; fast nichts ist mehr so, wie es vorher war. Es ist für mich unvorstellbar, dass ich gerade noch in einem Land war, wo sich nun so dramatische und apokalyptische Szenen abspielen. In der Zeitung lese ich: 

In Indien ist eine „vollständige Ausgangssperre“ in Kraft getreten. Sie gilt für alle 1,3 Milliarden Bürgerinnen und Bürger des Landes. Das landesweite Ausgangsverbot, das am Dienstagabend um Mitternacht in Kraft trat, soll nach Angaben von Premierminister Narendra Modi für mindestens drei Wochen gelten. Indien ist das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde.
Seit Sonntag dürfen in Indien keine internationalen Flüge mehr landen, auch Inlandsflüge gibt es vorerst nicht mehr. Die indische Bahn, die täglich mehr als 20 Millionen Menschen transportiert, hat ihren Verkehr bis auf Vorortszüge und den Güterverkehr komplett eingestellt.

Alles was jetzt ist, habe ich damals nicht wissen können. Ich hätte es mir vielleicht vorstellen können – aber nur sehr verrückte Fieberträume hätten mich zumindest entfernt in die Nähe vom Heute führen können. Aber sie hätten mich auch ganz woanders hin führen können… Dieses große Spiel lässt uns letztendlich demütig und klein zurück.

Ich denke Reisen sind wie Farben. Sie sind ein Weg, um sich selbst und die Welt zu erleben und sie sind weder nötig, noch unnötig. Sie können aber zu Glanzpunkten, zu Schliffkanten unseres persönlichen Diamanten werden und sind Momente im Strom der Zeit, die rückblickend besonders glitzern und funkeln.