Beyond Infinity. Magische Motive mit der Zorki Kamera

Die Möglichkeit, mithilfe künstlicher Intelligenz neue Bilder quasi aus dem Nichts zu generieren, ist im Sommer 2022 immer bekannter geworden. Es ist klar, dass man sich als Künstler auch damit beschäftigen und eine eigene Meinung dazu bilden muss. 

Die Wirklichkeit war in der Fotografie schon immer ein wichtiges und ganz wesentliches Thema. Unter dem Titel „Jenseits der Unendlichkeit“ habe ich begonnen, analoge Fotos digital zu manipulieren, neue Negative zu erstellen und letztendlich wieder analoge Handabzüge zu machen. Teilweise habe ich meine Prints auch noch mit analogen Mitteln (Seifenblasen, Lichterketten etc.) in der Dunkelkammer künstlerisch weiter bearbeitet. 

So kann ich mithilfe künstlicher Intelligenz analoge Fotos von Delfinen im Rhein und Einhörnern erstellen. Besonders gelungen finde ich aber auch eher subtilere Bilder, wo man die Manipulation auf den ersten Blick gar nicht mehr erkennt: Giftschlangen am Flussufer, badende Menschen gemeinsam mit exotischen Tieren …

In der historischen analogen Fotografie auf lichtempfindlichem Filmmaterial wird die Großartigkeit aber auch die Beschränktheit des eigenen Sehens und Wahrnehmens meiner Meinung nach schön sichtbar. Gleichzeitig bietet die analoge Fotografie durch ihre physische Kausalität reichlich Überraschungen und materialimmanente neue fotografische Qualitäten. Den Umgang mit alten Kameras und analogen Filmen erlebe ich als ehrliches und authentisches Arbeiten.

Diese Perspektive auf die Fotografie ist mir als Hintergrund wichtig. Künstlerische Fotografie entsteht jedoch erst, wenn man trotz allem versucht, über die Technik hinaus und hinter die Beschränkungen vorzudringen. Der Titel „Beyond Infinity / Jenseits der Unendlichkeit“ möchte in diesem Sinne Arbeitsauftrag sein. Er will aufzeigen, was trotz der Beschränktheit auf eine alte Messsucherkamera und Schwarzweissfilm alles möglich ist. Ausgangspunkt für diese Serie ist immer die analoge Zorki-Kamera. Danach ist jedes zusätzliche Mittel erlaubt: Scanner und digitale Bildbearbeitung, künstliche Intelligenz, hochauflösende Laser, um neue Negative aus digitalen Vorlagen zu erstellen … Die Technik bildet den Rahmen für künstlerische Vorhaben. An der Beschränktheit dieses Rahmens kann sich jedoch auch die Fantasie entzünden, Neues passieren und künstlerische Fotografie entstehen, die bestenfalls über sich selbst hinausweist.

Fotos zeigen die Spuren, sie erinnern an unsere Wege und verweisen auf unsere Zeit und unseren Raum. Dennoch gibt es auch sehr viel, was eine Kamera nicht darstellen kann. Ein Foto ist immer eine Abstraktion und zeigt nur einen kleinen Ausschnitt. Der größte Teil der erlebten Wirklichkeit wird vom Foto nicht berücksichtigt. 

Selbst gemachte analoge Handabzüge haben manchmal einen leicht amateurmäßigen, aber gerade deswegen auch vertrauten Charme. Solche Fotografie gilt oft als der Wirklichkeit entsprechend, im Gegensatz zu digitalen Bildern, wo man mittlerweile gewohnt ist, dass sie stark bearbeitet werden. Umso seltsamer ist es dann, meine altmodisch anmutenden Fotos anzuschauen. Tatsächlich wurden analoge Fotos jedoch auch früher schon bearbeitet, man denke beispielsweise an die Glasplattennegative des Fotografen Frank Eugene (1865-1936).

Die Indexikalität ist das wesentliche Merkmal eines Fotos. Der Bruch zwischen Referent und dem letztendlich vorliegenden Bild ist heute durch die Möglichkeit für jedermann, auch als Amateur täuschend echt wirkende Bilder fast aus dem Nichts zu generieren, noch einmal größer geworden. Aus dem Kino und von digitalen Fotos kennen wir künstlich generierte Bilder bereits sehr gut. Aber dass analoge Handabzüge aus der privaten Dunkelkammer plötzlich Fabelwesen oder frei erfundene Situationen zeigen, sind wir noch nicht gewohnt.

Mit der Arbeit an dieser Serie möchte ich zeigen, dass meine alte analoge Messsucherkamera alles fotografieren kann, was ich mir vorzustellen vermag. Sie wird im wahrsten Sinne des Wortes zur Zauberkamera. Und auch mit analogen Bildern habe ich unendliche Möglichkeiten.


Im Rahmen der Ausstellung „Unheimlich.Großartig“ habe ich meine Arbeiten im Atelierhaus Darmstadt gezeigt.

Eine Auswahl habe ich gerahmt, die andere Auswahl versucht möglichst pur als Silbergelatine Handabzug auf alten Baryt- und PE Papieren sichtbar zu machen.

Hier ein kleiner Auszug aus der Laudatio von Bettina Bergstedt zu unserer Vernissage:

„So schafft Georg Cevales surreale Bilder, wenn er mit einer alten sowjetischen Zorki-Kamera mithilfe von künstlicher Intelligenz seine Bilder bearbeitet. Sein Motiv: „Vater Rhein“, romantischer Mythos im 19. Jahrhundert. Der Fotograf Cevales setzt auf Irritation. Wenn Fotografie lange als das Abbild der Wahrheit galt, so erscheinen ein springender Delfin oder ein badender Dinosaurier im Rhein ‒ analog auf Silbergelatine oder Barytpapier gebannt, wie zwei sich ausschließende Behauptungen. Der surrealistische Lyriker und Essayist Pierre Reverdy sagte: „Je entfernter und richtiger die Beziehungen der beiden nebeneinanderstehenden Realitäten sind, desto stärker wird das Bild sein, desto stärker seine gefühlsmäßige … und seine poetische Aussagekraft“. So verweisen diese beiden Wahrheiten ‒ Delphin und Rhein, in die Zukunft. Ob so oder anders, wer weiß schon, welche Lebewesen aufgrund von Klimawandel einmal den Rhein bevölkern werden?“