Flooding („aqua alta“), water pollution and crumbling foundations on the one hand – missing jobs, high rents and the lack of comprehensive urban concepts and perspectives on the other hand.
Das was Venedig so einzigartig macht, ist auch gleichzeitig der Grund für seine größten Probleme. Als eine sehr alte Stadt, komplett umgeben von Lagune und im ständigen Austausch mit dem Meer, sind die Themen und Herausforderungen Venedigs vor allem ökologischer Natur. Neben dem Schutz und Erhalt der Stadt sind aber auch stadtplanerische und wirtschaftliche Perspektiven für die Menschen sehr wichtig. Hier möchte ich nun kurz erläutern, welche Probleme Venedig am meisten bedrängen und wie es um die Stadt bestellt ist.
Oft liest man erschreckende Nachrichten über Venedig. Overtourism, uralte Infrastruktur, Hochwasser … Einige Probleme hat man jedoch auch in den Griff bekommen. Venedig ist eine Stadt im Wandel. Dieser Beitrag möchte eine kurze Bestandsaufnahme und Zustandsbeschreibung versuchen.
Die ökologischen Probleme Venedigs sind vor allem nach dem Ersten Weltkrieg aufgetreten. Die Lagune wurde immer kleiner, durch Trockenlegungen für Industriegebiete aber auch um Flächen für den neuen Flughafen zu schaffen. Landwirtschaft und Fischzucht erforderten weitere Großgebiete, so dass inzwischen nur noch etwa zwei Drittel von der ursprünglichen Fläche übrig geblieben sind.
Zur Verringerung der Lagunenfläche kommt eine massive Verschmutzung des Wassers, die hauptsächlich durch giftige Abwässer der Ölindustrien am Festland entsteht. Aber auch durch das Problem der maroden Kanalisationssysteme, welche z.T. noch aus der Zeit Napoleons stammen.
Die Gefahr der Verschmutzung des Wassers und der Stadt, welche durch den regen Schiffsverkehr noch verschärft wird, besteht einerseits für das Leben der bis dahin artenreichen Tier- und Pflanzenwelt in der Lagune, anderseits für die Stadt ganz unmittelbar. Die jahrhundertealten Fundamente, auf denen die marmorne Pracht lastet, sind dem Wasser völlig ausgesetzt und werden durch die Schadstoffe angegriffen. Die mit Baumstämmen stabilisierten Fundamente verrotten inzwischen immer schneller, werden morsch und bilden für so manchen Palazzo keinen sicheren Grund mehr.
Die verheerenden Hochwasser in den letzten Jahrzehnten, welche heute durch Sirenen angekündigt werden, schrecken die Weltöffentlichkeit zwar immer wieder kurz auf, haben aber keinen grundlegenden Bewusstseinswandel zur Folge. Das liegt auch an der Unkenntnis und Bequemlichkeit der Politiker in Rom und in der Region Venetien: Selbst die unzweifelhaft bestehende Gefahr des Hochwassers hat ja nur zum Teil die globale Erwärmung und das Schmelzen des polaren Eises als Ursache.
Durch unterlagunische Brunnen entnahmen die Industrien jahrzehntelang Wasser; dadurch senkte sich mit dem Grundwasserspiegel auch der Boden der Lagune immer weiter ab und die „schwimmende Stadt“ rutschte irreparabel in nur 20 Jahren über 10 cm tiefer. Inzwischen holt man sich das Wasser aus den Flüssen Sile und Tagliamento, welche auch die öffentlichen Wasserleitungen speisen. Das chronische Absinken Venedigs ist so begrenzt, durch den steigenden Meeresspiegel bleibt die Gefahr von Überschwemmungen aber weiterhin bestehen.
Erschwerend kommt schließlich noch hinzu, dass die Lagune heute viel weniger Stauraum bietet als früher. So gibt es kaum noch Pufferzonen und ohne die mildernde „Schwammwirkung“ der ausgedehnten Lagunenflächen und durch die großen Fahrrinnen für Kreuzfahrtschiffe und Öltanker kann das Wasser vom Meer viel unmittelbarer auf die Stadt zuschießen als zur Zeit der Serenissima. Damals wurde die Wucht der nahenden Fluten noch durch viele verzweigte Kanäle in den Weiten der Lagune aufgefangen. Erreichte der erhöhte Pegel dann schließlich die Stadt, war zumindest die Stärke der Wellen gebrochen und das Wasser konnte nicht so ungestüm zerstören wie zum Beispiel im November 1966 oder im November 2019: Die bisher verheerendsten Hochwasser dauerten mehrereTage. Mit 1,94 bzw. 1,87 Meter über normal wurde Venedig von einer stinkigen Salzwasserbrühe überflutet, welche sich dabei in Mauern und Ritzen absetzte, Marmor in brüchigen Kalk auflöste und verputzte Wände in Backsteinruinen verwandelte…
Gerade in den Wintermonaten ist „Acqua alta“, wie man in Venedig sagt, fast schon Normalität. In den letzten Jahren kommen die Hochwasser jedoch immer früher im Jahr. Manchmal stehen schon im Oktober große Teile der Stadt unter Wasser und auch frisch renovierte Häuser sehen nach ein paar Jahren von unten bereits wieder stark angefressen aus. Abgesehen von den Schäden an den Häusern, schränkt Hochwasser das alltägliche Leben natürlich auch extrem ein. Man kann sich nur noch auf schmalen Holzstegen durch die Stadt bewegen und gerade die meistens ja ebenerdigen Ladenlokale und Restaurants sind zuallererst betroffen.
Die Umweltorganisation „Italia Nostra“ und die meisten Bewohner Venedigs sind der Meinung, dass die wichtigste Maßnahme zum Schutz der Stadt im Auffüllen der tiefen Fahrrinnen liegt, welche die Lagune für die großen Kreuzfahrtschiffe und Öltanker durchfurchen. Dem Projekt MOSE (Modulo Sperimentale Elettromeccanico) stand man in Venedig teilweise skeptisch gegenüber. Das MOSE ist eine riesige Maschine, die wie ein Tor zugeht und die Lagune vom Meer abschließt, wenn ein „Acqua Alta“ von 130 Zentimetern oder mehr droht. So ist der Wasserspiegel in Venedig abgeschottet und kann für eine begrenzte Zeit unter dem Meeresspiegel der Adria bleiben.
Nach über 16 Jahren Bauzeit, etlichen Milliarden Euro Kosten und einigen massiven Korruptionsskandalen ist das MOSE mittlerweile fertig und hat im Oktober 2020 sein erstes Hochwasser abgewehrt.
Obwohl der Tourismus die Haupteinkommensquelle der Stadt ist, verdienen die privaten Unternehmen an den Besuchern am meisten. Deswegen ist die Idee ein Eintrittsgeld für Venedig zu verlangen prinzipiell sinnvoll – sofern das Geld dann auch in die richtigen Projekte und Ideen fließt. Durch die vielen Millionen Gäste jährlich kann ein Budget zusammenkommen, dass zum Beispiel für Renovierungsarbeiten oder Kanalsäuberungen hilfreich wäre. Und auch die Wartung und Instandhaltung des MOSE wird auf lange Sicht sehr aufwendig und teuer.
Auch wenn all diese Probleme die Stadt bedrängen, gibt es immer wieder Hoffnungsschimmer. An vielen Stellen Venedigs kann man beobachten, dass Kanäle gesäubert, Fundamente restauriert oder Fassaden renoviert werden. Eine spezielle Schule auf der Insel San Servolo arbeitet schon seit 1977 daran, Handwerker für den Denkmalschutz auszubilden. Die Studenten bekommen hier ein vertieftes Wissen über alte und modernen Techniken, Rezepte und Werkzeuge des Restauratoren-Handwerks.
Außer mit den ökologischen Problemen hat Venedig auch mit wirtschaftlichen zu kämpfen. Nachdem Vasco da Gama 1498 den Seeweg nach Indien entdeckt hatte, begann der allmähliche Abstieg Venedigs. Die alten venezianischen Handelswege waren nun nicht mehr so interessant. Die traditionellen Industrien, wie zum Beispiel Glas-, Fischerei, Schiffs- und Waffenindustrie, konnten nicht ausreichend Arbeitsplätze anbieten. Das Arsenal, mit seinen Fabriken und Werkstätten einst das Herzstück der Seemacht Venedigs, wurde mit dem Niedergang der Serenissima immer unwichtiger – bis es schließlich 1916 endgültig seine Pforten schloß. Gab es zum Ende der Republik noch zirka 140.000 Einwohner in Venedig, so leben heute knapp 60.000 im historischen Zentrum. Mit den Einwohnern verschwinden auch die traditionellen Betriebe und alte venezianische Geschäfte. Allein in den letzten zwanzig Jahren habe ich erlebt wie nicht nur unser Bäcker und der Milchladen verschwunden sind, auch der Fischmarkt wurde immer kleiner und heute findet man kaum noch die Hälfte der Fisch- und Gemüsehändler hinter dem Rialto.
Die Entstehung immer neuer Industrien am Festland um Venedig brachte einen ökonomischen Aufschwung für die Region, der allerdings auf lange Sicht auch viele neue ökologische Probleme schuf. Porto Marghera ist eines der größten, denn mit seinen gefährlichen petrochemischen Anlagen stellt es eine immer drohende Katastrophe dar.
Durch die fehlenden Arbeitsplätze im historischen Zentrum und manche Einschränkungen, wie zum Beispiel ganz profan auch fehlende Autoparkplätze, besonders aber durch die maßlos überteuerten Mietpreise, findet eine Verschiebung der Bevölkerung aus Venedig auf das Festland nach Mestre und in die umgebenden Städte statt. Doch auch dort ist nicht alles rosig und es gibt nicht genügend Arbeitsplätze. So müssen die Venezianer noch weiter entfernt suchen, noch länger zur Arbeit pendeln und in Venedig wohnen zu bleiben wird immer schwieriger.
Die Hoffnung einiger liegt im Ausbau des Hafens und der Personenschifffahrt, was durch die damit einhergehenden Umweltprobleme aber ein zweischneidiges Schwert ist. Gleichzeitig kämpfen nämlich auch viele Venezianer und die Aktivisten der Umweltorganisation „No Grandi Navi“ gegen die großen Kreuzfahrtschiffe, welche bis zur Corona-Pandemie fast täglich direkt vor der Stadt ein- und ausgefahren sind. Inzwischen wurde beschlossen, dass für die Riesenschiffe in Zukunft eine bessere Lösung außerhalb der Stadt gesucht werden soll.
Manche Menschen meinen, dass mit dem Ausbau des Bankensektors neue Arbeitsplätze in der Stadt entstehen könnten. Es gibt auch immer noch ausgezeichnete traditionelle Handwerksbetriebe, Glasfabriken, kleine Bootswerften, Restauratoren… Auch durch die Universität Ca‘ Foscari kommen viele Studenten und bringen etwas Leben nach Venedig.
Tatsächlich ist aber der Tourismus mit Abstand das stärkste Zugpferd für die Wirtschaft in Venedig. Gerade in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurde wieder erschreckend deutlich, dass Venedig heute eigentlich eher eine Kleinstadt ist und die Menschen fast ausschließlich vom Tourismus leben. Das war nicht immer so und hat sich eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich so einseitig zugespitzt. Über die Jahre fällt es wirklich sehr auf, dass in der Stadt überall neue Hotels entstehen. Selbst in einst finsteren Seitengässchen findet man plötzlich ein neues „Albergo“ und so manch verfallener Palast wird zum schmucken Hotel und funkelt plötzlich in neuem Glanz.
Sehr viele Wohnungen werden inzwischen über Internetportale ausschließlich an Touristen vermietet und stehen ansonsten viele Tage im Jahr leer. Fraglich bleibt, wer von den ganzen Besuchern eigentlich profitiert, ob dadurch wirklich auch neue, gute Arbeitsplätze in der Stadt entstehen und ob auch beispielsweise Handwerksbetriebe, kleine und alteingesessene Geschäfte und Dienstleister etwas von dem Kuchen abbekommen.
Immer wenn man irgendwo eine frisch verputzte Fassade oder einen gerade gereinigten Kanal sieht, bekommt man das Gefühl, dass es mit der Stadt aufwärts geht. Aber es ist wichtig Venedig nicht nur zu konservieren. Neben dem Schutz und Erhalt der Paläste und Kanäle gilt es auch, die Stadt auf eigene Beine zu stellen. Ein ganzheitliches stadtplanerisches Konzept für Venedig ist tatsächlich eine echte Herausforderung! Wünschenswert wäre aber, dass Venedig auch als Stadt lebendig bleibt, kein reines Museum wird, sondern ein lebenswerter Ort mit hoffnungsvollen Perspektiven und wirtschaftlich freien Einwohnern.