Was macht eine Lieblingskamera so kostbar? Ein Mensch, der sich geliebt fühlt, versprüht einen ganz besonderen Glanz. Aber können auch Dinge funkeln? Wollen Kameras lichte Augenblicke des Glücks erhaschen? Das Schillern der Morgenröte? Das Leuchten in den Augen?
Weiter Blick von der Edge-Aussichtsplattform, 336 Meter hoch über der Stadt:
Als Arete (griech. ἀρετή) beschreibt man die besondere Tauglichkeit einer Sache. Ihre wesentliche Qualität, durch die sie ihre Aufgabe erfüllt. Was wäre wohl dann die Arete meiner Lieblingskamera? Ich habe sie nach New York gebracht und mit ihr eine Woche lang ausführlich die Stadt erkundet. Meine Überlegung dazu war: Was würde sich eine Kamera wünschen, wenn sie könnte? Was wäre der Lebenstraum dieser kleinen alten Zorki? Und bevor es hier jetzt zu sentimental wird: An mich dachte ich auch. Ich wollte gerne in die Stadt. Dinge haben keine Seele. Ganz ehrlich, Name und Marke der Kamera sind für das Bild eigentlich gleichgültig. Vor allem, wenn man sich klar macht, dass das analoge Foto durchs Objektiv gemacht wird und auf Film entsteht.
In Harlem habe ich gewohnt und hier war ich die meiste Zeit unterwegs:
Wie Zauberstäbe brauchen auch Kameras einen Träger, eine Idee und eine Absicht dahinter. Ein Fotoapparat folgt im Moment des Auslösens strikt seinen eigenen technischen Gesetzmäßigkeiten. Als künstlerisches Instrument betrachtet sind Kameras jedoch nicht autonom. Äußere Umstände, Ideen, Wahrnehmungen, Überlegungen und sogar Gefühle des Fotografen spielen für das Bild ebenfalls eine wesentliche Rolle.
Letztendlich dachte ich einfach, weder gefühlsduselig noch völlig rational, mit meiner Lieblingskamera müsste ich doch sicher ganz besonders schöne Fotos machen können. Und New York war dann die ‚coolste‘ Stadt, die ich mir für diesen Versuch denken konnte.
Midtown Manhattan mit Wolkenkratzern und Häuserschluchten:
Aus Filmen, von Postern, Kalenderblättern, Magazinen, Comics und Romanen kennt man die Stadt. Die Skyline ist das Ideal einer Skyline, die großen alten Wolkenkratzer sind die ersten ihrer Art… Denkt man sich eine große moderne Weltstadt, ist New York das Original. Ein bisschen vom Abglanz dieses großen Zaubers schimmert vielleicht auch durch die Fotos.
„New York ist wirklich der richtige Ort; nach New York zu gehen, geht ins Zentrum der Welt, in die Höhle des Löwen.“ – Zubin Mehta
Nach 50 Jahren, nach einem langen Leben in der Sowjetunion, nach vielen Händen und glücklichen Fügungen hat diese Zorki4K über einen Händler in Schottland letztendlich zu mir gefunden. Jetzt waren wir gemeinsam in New York und haben eine Woche lang die Stadt erkundet.
The Villages, auf der Highline und im südlichen Manhattan:
In New York ist man die ganze Zeit unterwegs. Eine Woche heißt auf der Zeitachse von Google Maps: 101 Kilometer zu Fuß, 140 Kilometer Subway, 18 Kilometer Fähre … Regen, Schnee, eisige Temperaturen (bis minus 12 Grad), Wind und Sonne. Ein weiteres Abenteuer und eine ziemliche Prüfung. Nicht nur für die 50 Jahre alte Zorki, auch für mich, den (etwas jüngeren) Fotografen.
Unterwegssein in New York. Fähre, Subway, Flughafen und vor allem immer wieder die Penn Station – mit rund 650.000 Fahrgästen täglich einer der wuseligsten unterirdischen Bahnhöfe, den ich kenne:
„If I can make it there
I’ll make it anywhere
It’s up to you
New York, New York “
– Frank Sinatra,
Kommt man nach New York, betritt man nicht nur ein, sondern gleich mehrere Paralleluniversen. Jeder Stadtteil hat seine eigenen Bewohner, Straßen mit unterschiedlichem Flair, eigene Architektur und einen eigenen Stil. Manche Ecken von Greenpoint wirken wie ein polnisches Dorf, in Teilen von Williamsburg fühlt man sich wie vor 100 Jahren, am Times Square kommt einem alles wie ein Science-Fiction-Film vor …
Ein Regenspaziergang in der Bronx:
Der Klang eines Eiswagens an der 170th Street in der Bronx:
New York ist vielleicht nur für mich als Besucher eine Stadt zum Träumen. Für die New Yorker sieht es wahrscheinlich anders aus. An jeder Ecke sind Geld und Erfolg sichtbar und trotzdem scheint es, dass sich der „American Dream“ für die meisten Menschen auf der Straße ausgeträumt hat. Zeit, Gemütlichkeit und Muße findet man nur selten. Die Stadt ist laut, geschäftig und ziemlich abgebrüht. Bei all dem Gewusel und trotz ihrer Größe ist einem New York aber auch direkt vertraut.
Brooklyn, südlich der Williamsburg Bridge, bei den orthodoxen Juden, auf der Fähre und in der Baltic Street, wo ich bei meinem letzten Besuch gewohnt habe:
Wie man eine Stadt erlebt, ist unterschiedlich. Allein oder zu zweit, beruflich oder privat, im Winter oder im Sommer … Dabei ist der persönliche Zugang am Ende entscheidend. Nach ein paar Tagen findet sich jeder grob zurecht. Immer wieder neue Szenen ergeben sich und aus dem schier unendlichen Kaleidoskop an Eindrücken bleiben schließlich einzelne Momente in Erinnerung.
Schaufenster in New York:
Dabei sind die Bilder, welche die Zorki auf Film eingefangen hat, durchaus verschieden von meinen Eindrücken. Speziell ganz frisch nach der Reise habe ich so manches noch gut vor Augen. Vor allem auch die vielen Momente, welche ich nicht fotografiert habe (aber gerne fotografiert hätte). Manchmal wäre es schön, man hätte im Auge einen eingebauten Auslöser: Menschen in der U-Bahn, die Sirenen der Feuerwehr, der eiskalte Wind am Ufer des East River, die Melodie eines Eiswagens in der Bronx, geröstete Erdnüsse in Harlem, wild shoppende Tussis an der 5th Avenue oder einfach das Gefühl allein auf einer Fähre früh morgens nach South Brooklyn zu sitzen… Glück kann sein, in der Abendsonne über die Manhattan Bridge zu gehen, ein frisch gebrutzeltes Sandwich mit supersüßem Kaffee an der Lenox Avenue oder den Kirchenglocken und polnischen Opas in Greenpoint zuzuhören.
Greenpoint und nördliches Williamsburg:
So eine große weite Reise, immer mit derselben Kamera und immer nur mit 35 mm Festbrennweite ist vielleicht auch dumm. Es gab Momente, wo ich gerne näher rangezoomt hätte. Aber andererseits hat es so reduziert auch sehr viel Spaß gemacht. Ich hatte den Kopf frei für Bilder, Licht und spannende Situationen und habe 15 Filme verschossen.
Schmuddelige Winterfotos, graue Februartage in New York:
Manche Leute haben große Sammlungen mit teuren Kameras zu Hause. Aber ist es nicht besser, nur wenige Kameras zu haben und diese dafür viel zu gebrauchen, Reisen, Orte und Menschen entdecken und unterwegs zu sein? Fotografie ist heute selbstverständlich mehr als nur ein technisches Verfahren. Kann man Kameras einen Wert beimessen, der über ihre rein materielle Erscheinung hinausgeht? Die Rekordpreise für alte Leicas, der Kunstmarkt, große Auktionshäuser geben hier eine klare Antwort.
Brückenblicke. Auf der Brooklyn-, Manhattan- und Williamsburg Bridge:
Für mich sind vor allem die gemeinsamen Erlebnisse wertvoll. Novemberregen in Berlin, Gischt in Goa, Gewitter in den Bergen, Sonnenuntergänge, bunte Märkte, hunderte Kilometer am Rheinufer entlang… Die Lieblingskamera war mit dabei. Und jetzt war sie auch in New York.