Über das Interessante

In den vergangenen Wochen habe ich oft Notizen gemacht und viel gezeichnet. Hier möchte ich einige dieser Zeichnungen zeigen und aus meiner Sammlung an losen Gedanken herausschreiben, was interessante Dinge, Situationen und Menschen charakterisiert.
Generell würde ich gerne behaupten, dass alles interessant sein kann. Interesse ist vor allem eine innere Haltung und liegt nicht allein in den äußeren Dingen, sondern vielmehr auch in unserer Fähigkeit durch Empathie, Begeisterung und Phantasie mit der äußeren Welt umzugehen und dadurch unsere eigene Welt zu erfüllen und zu bereichern. 

Aber ganz von Anfang an: Was ist interessant?

Interessant ist zum Beispiel etwas Besonderes: Außerordentlich groß, ungeheuer wertvoll, selten, kostbar, extrem… Gerade wenn wir es noch nicht so richtig begreifen und kein festes Bild haben, wird unsere Phantasie angeregt. 

Interessant kann aber auch sein, wenn man eine Sache besser versteht, die einen viel beschäftigt hat. Etwas, wo man starke Gefühle und auch Widerstände erlebt hat. Dann sind neue Aspekte dazu interessant: Lösungen, Instrumente, Tricks, Wege die mich weiterführen und mir helfen, mein eigenes Projekt daraus zu machen. Interessante Themen schaffen Sinn, bewegen mich und ich kann sie in meinem Leben anwenden. Aber auch unnützes Wissen kann interessant sein und unterhalten. 

Das Wie ist entscheidend. 

Interessant ist vor allem die Eigenschaft von etwas. Interessant ist, wie es aussieht, wie es reagiert oder wie es gemacht wird. Was es ganz konkret ist, ist indessen schnell langweilig. Das Wie kann unser Interesse wecken und spannend sein. Sowie uns etwas interessiert, sind wir auch schon dazwischen und nehmen teil. Wenn wir uns angesprochen fühlen und involviert sind, nehmen wir all die Facetten wahr, die unser Leben insgesamt reicher und lebhafter machen. 

Ein paar Beispiele: „Rathaus“ ist nicht so interessant, wie „brennendes Rathaus“ und „Hund“ ist nicht so interessant und müffelig, wie „nasser Hund“. Schmelzendes Wachs, dunkles Holz, die Pfirsichnote des Weißweins… In der Sprache wird das Wie ganz praktisch mit Adjektiven erledigt. Große Poesie entsteht so zwar noch nicht direkt, der Text wird aber zumindest ein bisschen unterhaltsamer. 

In der Malerei und Fotografie ist das nicht mehr so einfach. Manchmal begegnen wir Kunst-Bildern hochsensibilisiert, mit großer Empfindlichkeit. Fast wie bei einem ersten Kuss. Dann ist unser Erleben wundervoll tief und zauberhaft. Gleichzeitig sind wir aber auch vorsichtig, weil wir in solchen offenen Momenten verletzlicher sind als sonst. 

Häufig sind wir aber auch Bildern gegenüber abgestumpft und unbeteiligt. Dann müssen wir abgeholt und auch ein bisschen umworben werden. Was das Adjektiv in der Sprache, ist in der Kunst die Form. Nur, anders als in der Sprache, sind in der Kunst Form und Inhalt eins. Ich kann mir kein Bild von einem brennenden Rathaus anschauen, ohne gleichzeitig die Form, wie es gemacht ist, zu sehen. Je nach dem, finde ich es dann langweilig oder interessant. Auch ein brennendes Rathaus kann nämlich sehr langweilig sein. Ich denke da z.B. an einen vergilbten Kupferstich, in fleckigem Passepartout mit grauen gotischen Buchstaben am unteren Rand… Dagegen kann schmelzendes Wachs zuweilen so fesselnd sein, dass manche den ganzen Abend voller Faszination in ihre Lavalampe schauen und sich über die immer neuen, leuchtenden und bunten Formenspiele freuen. 

Zu viel kann auch schnell langweilig oder sogar lästig werden. 

Zu viel von etwas, ist oft langweilig. Wenn ich diesen Text beispielsweise immer weiter ausschmücke, mit noch mehr Beispielen, anderen Aspekten, zusätzlichen Dimensionen, weiteren Sichtweisen, neuen Perspektiven und Gegenpositionen und immer mehr Wissen, Informationen, Hintergründe, und, und, und…

Letztendlich sind andere Menschen am interessantesten. Sie zu treffen, ist inspirierend. Es macht Spaß Menschen besser kennenzulernen, Zusammensein und sich dabei selbst zu erleben. Wir freuen uns, wenn wir von anderen Menschen bemerkt werden, wenn uns jemand zuhört und wenn wir das Gefühl haben jemanden zu erreichen. Aber es ist andererseits nicht wichtig, von allen Menschen wahrgenommen zu werden. Wir wollen lieber für einige uns kostbare Menschen etwas Besonderes sein, als von allen Menschen gleichermaßen aufgefressen zu werden. Interessant ist die Teilnahme. Das dabei sein, das zwischen Menschen zu sein. Inspiration schöpfen wir dabei besonders aus einer sowohl partizipativen, aber auch beobachtenden Perspektive. Ich nehme teil, habe aber auch die Sicherheit für Rückzug und die Freiheit mich ein bisschen aus dem ganzen Geschehen rauszunehmen und mir meine eigenen Gedanken zu machen.

Wenn man sich etwas mehr mit einem bestimmten Menschen beschäftigt, wird er immer interessanter und das Bild immer reicher und umfassender: 

Besonders interessant sind Menschen, die etwas tun. Es ist gar nicht einmal wichtig, ob es uns etwas nützt oder nicht. Beispielsweise ist Geld nützlich, die Angestellten der Europäischen Zentralbank sind deswegen aber nicht automatisch interessant. Musikspielende oder tanzende Menschen sind sehr viel interessanter, obwohl ihr nutzen für viele auf den ersten Blick vielleicht weniger praktisch ist. Und auch hier ist immer das Wie die alles entscheidende Sache. Schöne junge Frauen sind interessant und in ihrer Gesellschaft vergeht die Zeit wie im Flug. Aber auch alte Gesichter, Falten, Furchen und Spuren des Lebens in einem Gesicht sind faszinierend.

Was wir interessant finden, ist immer auch wertend, denn mit unserem Interesse beurteilen und verurteilen wir auch. Wenn ich nur schlecht Musik spielen kann bzw. keine schöne junge Frau bin, was kann ich dann tun? Als Malerin oder Maler kann ich in diesem Fall z.B. hübsche junge Frauen, Musikerinnen und Musiker oder Tanzende zeichnen.

Einfach so zu zeichnen, was man schön bzw. interessant findet, ist aber für zeitgenössische Kunstschaffende immer auch ein bisschen erklärungsbedürftig. Kunst kann heute nicht mehr so tun, als ob sie „nur“ Zeichnung, Malerei oder was auch immer ist. Wenn heute jemand Kunst macht, muss er auch in der Lage sein zu reflektieren und eine eigene Haltung dazu haben.
Im Fall einer Zeichnung kommt zu guter Letzt sehr stark auch die technische Seite dazu. Wie man es schafft den portraitierten Menschen zu erkennen… Speziell die technische Seite einer Zeichnung ist so offensichtlich, dass man trefflich darüber schreiben könnte! Was schief ist, was nicht stimmt, ungenau gemacht ist – das kann ja jeder sehen und da kann man auch nicht viel schönreden.
Das Technische ist ein eigenes, großes Thema. Wer mehr dazu lesen möchte: Ein bisschen näher habe ich mich im Rahmen meines Experimentallabors in Indien mit der Rolle des Technischen in der Kunst beschäftigt: Notizen über das Technische in der Kunst.

Eine technisch fein ausgeführte Zeichnung, der krause Stoff des Kopftuches, weiches Licht und Schatten auf einem Gesicht, kann auch interessant sein.

Es ist fast nicht möglich, in wenigen Worten zu beschreiben, warum man einen Menschen interessant findet. Noch viel schwieriger ist es dann zu erklären, wenn man sich gar vertraut oder nah fühlt. 

Am Anfang finden wir vielleicht Menschen interessant, die uns helfen können. Das wäre allein wieder nur die inhaltliche Ebene, die Ebene des Was.
Darüber hinaus mögen wir langfristig Menschen besonders, die uns unterhalten, die humorvoll und witzig sind. Das ist die Ebene des Wie. Die Eigenschaften der Menschen, worüber sie sich freuen und wie sie etwas machen, sind dabei oft wesentlich interessanter, als das, was sie effektiv tun. Bei Freunden ist der Beruf beispielsweise egal. 

Wenn wir den bestimmten, ausgewählten Menschen schließlich in unserer Zukunft sehen würden, wenn wir dann noch Hoffnung und Gefühle mit in die Beziehung nehmen, und wenn wir durch den anderen Menschen ein Stück neue Welt erleben können, ist er für uns sehr interessant.