In was für einer Zeit leben wir eigentlich? Glauben wir wirklich noch an Fortschritt, Wachstum, neue Ziele und eine bessere Zukunft? Der aktuelle Kunstbetrieb erschöpft sich oft in der Interpretation, Kombination oder Variation bereits vorhandener, althergebrachter Ideen. Das Neue und Revolutionäre findet heute in anderen Bereichen statt, aber nicht unbedingt in der Kunst, welche eher reagiert, Themen und Ereignisse kombiniert und durch die Vielfalt ihrer Variationen sämtliche Facetten beleuchtet – aber keine neuen Wege findet. Retro-Schick, Vintage-Kitsch und die Besinnung auf traditionelle Werte sind das Ergebnis. Gleichzeitig sind wir aber auch zurecht skeptisch, wenn jemand die ultimative Antwort auf die Frage nach dem Leben, nach dem Universum und dem ganzen Rest gefunden zu haben meint.
So erscheint der Kunstbetrieb überbordend, das Postmoderne scheint ihm ganz und gar immanent. Aber könnte eine Landschaftsmalerei, ein Portrait, eine Fotografie oder ein Video überhaupt revolutionär sein? Würden wir noch empört Bilder bespucken, auf die Straße gehen und schreien weil uns der Duktus zu grob und die Farben unharmonisch erscheinen? Wohl eher nicht. Die Frage nach der Qualität einer Position erschließt sich eher vergleichend: Hat die Künstlerin der Künstler eine Entwicklung gemacht? Wie positionieren wir die Position im Rahmen der Kunstwelt?
Eigentlich interessant wären aber doch viel eher die Betrachterin oder der Betrachter: „Wie stehen sie dazu?“ Als Zuschauer kann ich mich fragen: Habe ich eine Meinung? Habe ich Angst, mich zu blamieren oder ist es vielleicht auch etwas Bequemlichkeit, die mich davon abhält auszudrücken, wie ich etwas finde? Vielleicht von allem ein bisschen.
Während viele Einzelne machtlos oder passiv daneben stehen, organisiert sich die Welt in mehr und mehr totalitären Strukturen. Das wirtschaftliche und politische Leben ist mehr und mehr von Monopolen, großen Lagern und Bündnissen geprägt. Kulturell verbreiten heutige Gesellschaften Monokultur und Vielfalt wird zum Luxus. Es ist nicht so schwierig, heute kulturpessimistisch zu werden.
„Was einmal Kultur war, ist heute Spektakel, ein kunterbunter Amüsierbetrieb, leerer Lärm“. – Alles Boulevard von Mario Vargas Llosa
Durch die Informationen, welche wir immer schneller und einfacher bekommen und dringend brauchen und durch die Nähe, die wir dadurch zueinander entwickeln müssen, wächst auch unsere Verantwortung füreinander.
Anstatt zu mehr Vertrauen führen die vielen und schnell aufeinander folgenden Informationen aber paradoxerweise zu immer größerer Unsicherheit und alles erscheint ungeheuer durcheinander. So erleben wir gleichzeitig, wie auf die entstandenen, unfassbaren globalen Herausforderungen mit nationalem Extremismus, Ausgrenzung oder Ignoranz reagiert wird.
Mit der Geschwindigkeit der Ereignisse ist die Möglichkeit des inneren, tiefen und persönlichen Erlebens verloren gegangen. Der einzelne Mensch arbeitet spezialisiert, auf seinem ganz bestimmten Gebiet. Er ist Experte in seiner kleinen Welt und hätte isoliert, allein mit seinem Wissen und seiner Macht doch keine Chance mehr. Generalisten, Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci, Leibniz, Goethe oder John Ruskin sind heute nur schwer vorstellbar.
Unsere Wahrnehmung ordnet sich dem Weltbild unter und wird immer starrer. Wir sehen, was wir ‚liken‘, mit wem wir öfter interagieren und bauen uns so immer weiter unseren eigenen Filter. Oft wird uns das Gefühl, welches wir gefälligst zu entwickeln haben, von der Informationsquelle gleich mitgeliefert. So ist es ja auch viel einfacher: Empörung, Glück und Angst verkünden bereits die Titelzeilen. Die klare Linie, der rote Faden ist vorgegeben. Eine Zumutung, wer von seinen Mitmenschen eigenes Denken erwartet. „Warum interessieren Sie sich für Kunst?“ fragt der Fernsehsender Arte die Galeriebesucher und bekommt doch keine vernünftige Antwort.
Oft sind unsere Wege eine Pseudo-Interaktion und tatsächlich bewegen wir uns nicht frei, sondern wie in einem Computerspiel von Level zu Level auf Wegen, die bereits vorgegeben sind. Andere Wege oder höhere Ziele erscheinen dann ausweglos. Wie viele Möglichkeiten wohl verloren gehen, weil Menschen resignieren?
Wir sind zu sehr daran gewöhnt, den Trampelpfaden der Gruppe zu folgen und unseren menschlichen Bedürfnissen nachzugehen. Es braucht viel Kraft, einen eigenen, vielleicht auch verrückten und wirren Weg durch den Dschungel der Zeit zu finden. Gruppen sind auch gut zu kontrollieren. Durch empirische Daten lässt sich das Verhalten einer Gruppe relativ präzise vorhersagen. Das war aber nicht immer so und muss auch heute eigentlich nicht sein. Es ist nur die Bequemlichkeit und Angst, welche uns abhält, andere Lösungen und Umwege zu suchen.
In der Kunst suchen wir den Nebel, wir freuen uns über das Hintergründige, glauben dem Gebrochenen und hoffen, dass im Experimentellen etwas Besseres entsteht. Besonders was man nicht gleich versteht, birgt möglicherweise Potenzial.
Der Künstler darf noch unseren Freiheitstraum leben, er ist der Hofnarr der Gesellschaft, ein „Freigeist“ und die von ihm geschaffenen Freiräume sind für unser Erleben und Denken erholsam. Kunst ist „Balsam für die Seele“. Nach dem Alltag ist Kunst unsere persönliche Erholungspause. Aber wäre es nicht schön, auf Augenhöhe zu kommunizieren? Warum sollen Künstler etwas dürfen, was wir uns nicht ebenfalls zugestehen? Alle sollen teilhaben, nicht nur die Künstler und Kenner.
Das künstlerische Prinzip ist ein bestimmtes Prinzip, eine andere Möglichkeit, mit Ideen und Ergebnissen umzugehen. Wenn man die Welt als Spielwiese betrachtet, das Leben als Ausgangsmaterial für kreative Prozesse, kann man den Dingen Sinn verleihen und die richtigen Fragen stellen. Kunst ist eine Chance, Lösungen und Sinn zu finden, wo es sonst vielleicht keinen Weg gegeben hätte. Wichtig wäre mehr Mut, mehr Selbstbewusstsein, mehr Vielfalt. Mehr Glaube an die Menschheit.
Und egal was wir machen, ist es nicht für jeden manchmal gut, um die Ecke zu schauen, mit Gedanken, Ideen und Bildern zu spielen, etwas mal von ganz anderer Seite zu sehen, etwas anders machen und Neues zu wagen?
Es gibt so vieles, was man im Leben tun kann. Und so viel davon ist offensichtlich Mist. Aus Kunst ist zumindest immer etwas Positives hervorgegangen. Die Kunst und ihr Diskurs sind für die Gesellschaft langfristig immer fruchtbar und das kann man nun wirklich nicht von allem behaupten.