Mit Fotos möchte ich verstehen, welche Chancen und Perspektiven Europa hat und was uns verbindet. Dafür bereise ich gezielt Länder in Europa, die nicht zur EU gehören. Wie geht es den Menschen dort? Welche Ziele und Möglichkeiten haben sie?
Durch diesen Perspektivwechsel hoffe ich, mehr über das Wesen Europas zu erfahren.
Hier sind nun Fotos aus Kiew, Sarajevo und Georgien ausgewählt.
Wie sind die Fotos entstanden?
Fotos sind nie objektiv – jede Aufnahme, jede Dokumentation setzt einen bestimmten Fokus. Die Subjektivität meiner Fotos wird durch ungewöhnliche Perspektiven, Lichtreflexionen, die Vignetten meiner alten Objektive und manchmal auch durch die Körnigkeit und Farbigkeit der Filme zusätzlich betont. Ich mag die Materialität des Fotos an sich und suche gezielt Aufnahmen, die durch ihre eigentümlichen Spuren zeigen, dass sie ein Foto sind.
Im Vorübergehen, bei vielen oft sehr langen Wanderungen in den Städten, fotografiere ich alles, was meinen Blick festhält. Hinterher, zu Hause und mit zeitlichem Abstand entwickele ich die Filme, schaue mir die Bilder an und sortiere die Serien aus dem, was vorliegt.
Vielleicht haben meine Fotos gerade durch diese Unintentionalität beim Fotografieren und das sich spielerische Einlassen auf die unkontrollierbaren Aspekte des Fotos die Möglichkeit, etwas freier und unabhängiger von mir ihre eigene Gestalt zu finden und ein Stück vom Wesen der abgelichteten Motive wiederzugeben.
Ich hoffe, dass durch die Fotoserien über die Zeit ein Klang und eine Ahnung wächst, wie es um die Wünsche, Träume und die Zukunft der Menschen in Europa bestellt sein könnte.
Wie ist der Text entstanden?
Es gibt viele gute Gedanken zu Europa. Doch kann man wirklich von einer gemeinsamen europäischen Identität sprechen? Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit sind keine ausschließlich europäischen Werte. Auch das Christentum hat seine Wurzeln nicht in Europa. In der Kunst und Architektur gibt es keinen einheitlichen Stil: Byzantinische Bauwerke in Venedig, maurische Kunst in Spanien, Stabkirchen in Skandinavien …
Statt staatlichen sind es vielmehr regionale Entwicklungen, einzelne Persönlichkeiten und Stilepochen, die Europa geprägt haben. Eine klar abgegrenzte „abendländische Kultur“ hat es in dieser Form eigentlich nie gegeben. Früher haben sich die Menschen auch nicht als „europäisch“ wahrgenommen.
Trotzdem erlebe ich heute, dass mir die Idee eines gemeinsamen Europas ein Gefühl von Sicherheit gibt. Die Wirtschaft und die digitale Welt sind vernetzt. Es gibt globale Probleme, die von einzelnen Staaten nicht mehr alleine gelöst werden können. Dann ist es tröstlich, sagen zu können: „Wir“. Europa als Hort des guten Lebens. Ein Bollwerk gegen die Imperialisten, Tyrannen und Freaks da draußen…
Es hat für mich etwas Schönes zu wissen, dass wir mit unseren Nachbarn verbunden sind – dass man einfach reisen kann und dass wichtige politische Entscheidungen nicht von einzelnen Führern allein getroffen werden, sondern im Austausch miteinander entstehen.
„Wer an Europa zweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!“ – Jean-Claude Juncker, Premierminister von Luxemburg
Dieses Gemeinsame – der Wille zur Zusammenarbeit – ist für mich tröstlich und ein Schutz vor Fehlern. Dadurch ist Europa etwas sehr Reales und kein bloßes ideologisches Konstrukt. Als Gemeinschaft bietet es mehr Sicherheit und ist ein lebenswerterer Ort, als es einzelne Nationalstaaten wären, die sich gleichgültig oder sogar feindselig gegenüberstehen.
Um ein Gespür für die Zukunft und die Chancen Europas zu entwickeln, muss man es auch von außen betrachten. Europa ist weit mehr als nur die EU. Um die großartigen Möglichkeiten und das Glück, vereint zu sein, wirklich zu begreifen, sollten wir verschiedene Perspektiven einnehmen. Besonders wertvoll sind dabei die Sichtweisen der Menschen, Städte und Länder an den Rändern Europas. Das waren ungefähr meine Gedanken beim Start dieses Projektes.
Am äußersten Rand von Europa: In Ushguli. Ein isoliertes Bergdorf hoch oben im Kaukasus. Wehrtürme, Blumenwiesen und weite Landschaften in Swanetien/Georgien. Erste Eindrücke mit der Zorki und grobkörnigem, rotstichigem Harman-Phoenix Farbfilm.
Blühende Bergwiesen, weite Täler und der Gipfel des Schchara über 5000 Meter hoch oben in den Wolken. Wehrtürme, die den Jahrhunderten trotzen, Wachhunde, deren zotteliges Fell mehr an Bären als an Haustiere erinnert. Graue, braune Farben und dunkelgrüne Wiesen. Ushguli fühlt sich sehr an, wie am Rande Europas; irgendwie auch am Rande der westlichen Welt. Hinter den Bergen ist Russland.
Kleine Wanderwege führen einige Kilometer in verschiedene Richtungen durch das Tal oder hoch auf die umliegenden Gipfel – aber es sind nur ein paar Monate im Jahr, in denen alles so zugänglich ist. Auch im Sommer muss ich oben in den Bergen meinen Weg durch einsame Schneefelder suchen. Markierungen gibt es nur selten. Im Winter ist Ushguli oft viele Tage vom Rest der Welt abgeschlossen. Manchmal fällt der Strom aus. Wer hier lebt, muss sich selbst versorgen, gegenseitig unterstützen und in der kleinen Gemeinschaft des Dorfes Regeln, Wege und Absprachen finden, die für alle irgendwie funktionieren.
Ein Augenmerk auf Grün- und Brauntöne. Dunkelgrüne Wiesen, braune Pferde, Gletscher, verwitterte Mauern, Felsen und Hundefelle: Die Farben Ushgulis mit der Zorki-Kamera auf verschiedenen Fuji, Svema und Kodak-Farbfilmen.
Alle Menschen in Europa teilen eine gemeinsame Zukunft
Europa ist klein. Auf etwa 10,5 Millionen Quadratkilometern tummeln sich historisch schon immer viele verschiedene Menschen. Von Åland bis Andalusien, ob Basken, Bretonen oder Bayern… Jedes Volk hat seine eigene Geschichte, traditionelle Trachten, Brauchtum, kulinarische Spezialitäten und Musik.
Eine Sache teilen jedoch alle Menschen in Europa, und das ist die gemeinsame Zukunft auf engem Raum. Was die Menschen in Europa verbindet, ist der Wunsch, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und die Hoffnung, dass es vorangeht. „Was verbindet die Menschen in Europa?“ weiterlesen