Hermannstadt im Winter

Sibiu, 8. Dezember.
Köln ab am 7. Dezember 1:15 mittags. München am frühen Abend des selben Tages überflogen; sollte eigentlich 2:20 ankommen, der Flug hatte aber eine halbe Stunde Verspätung.
Budapest scheint eine herrliche Stadt zu sein, soweit ich es aus dem Flugzeugfenster und in der kurzen Zeit, die mir beim Vorbeifliegen zur Verfügung stand, beurteilen konnte… 

Bram Stokers Dracula war mir dieses Jahr atmosphärische Einstimmung für meine Reise nach Transsylvanien. Hier möchte ich jetzt meine wirklichen Eindrücke in einem kleinen Beitrag zusammenfassen. Vielleicht inspiriert es ja den einen oder anderen zu einem eigenen Besuch.  

Ein erster Eindruck von Hermannstadt: 

Hermannstadt oder rumänisch Sibiu ist eine schöne alte Stadt am Rande der Südkarpaten. Vampire gibt es dort keine mehr, dafür Knoblauch überall. Getrocknet, zu wunderschönen Zöpfen gebunden, als Grundlage deftiger Fleischgerichte, in heißer Butter schwimmend ebenso beliebt wie sogar in der Mayonnaise: Überall findet sich die Wunderknolle. So müsste man schon sehr lüstern und verzweifelt sein, wollte man da heute noch auf vampireske Gedanken kommen. Hermannstadt ist also, soviel sei nun direkt verraten, nicht das Zentrum des Vampir-Kults – das wäre Schloss Bran.

Ein Abendspaziergang um das Zentrum herum

Von deutschen Siedlern gegründet ist es immer noch eine ausgesprochen deutsche Stadt. An fast allen Ecken finden sich deutsche Spuren: Die Architektur, Schilder, Namen, deutschsprachige Zeitungen und Magazine, deutschsprachiges Theater, Schulen, Gottesdienste und vieles mehr. 

Meiner Meinung nach ist jeder kulturelle Kern einer Gemeinschaft zuallererst immer etwas positives. Es hat nichts mit Ausgrenzung, Starrsinn oder Fremdenfeindlichkeit zu tun; ganz im Gegenteil. Kulturelle Identität führt zu individueller Sicherheit, zu mehr Souveränität im Austausch mit anderen und bildet die Fähigkeit aus, selbstbewußt den eigenen Weg zu gehen. Eine gemeinsame Religion, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Kultur verbindet Menschen. Dabei sind die vielen kleinen Brücken zwischen den Individuen, die aus den kulturellen Aktivitäten wachsen, das Kostbare. Den meisten kulturellen Aktivitäten und Traditionen liegt vom Prinzip her etwas Liebevolles, Begeisterndes und Positives zugrunde. Es macht Spaß diese Zeichen in einer fremden Stadt zu suchen und es ist inspirierend, sich damit zu beschäftigen. 

Pfützen aus der Froschperspektive: 

Inzwischen sind die Deutschen in Hermannstadt nur noch eine kleine Minderheit – noch bis 1970 war das aber ganz anders. In den letzen 50 Jahren gab es zwei große Auswanderungswellen und wenn man sich überlegt wie komplex die Geschichte ist und wie individuell die Menschen sind, kann man sich schon sorgen wie es heute um die kulturelle Vielfalt bestellt ist und ob es heute immer noch möglich ist, dass jede Gemeinschaft den Raum und die Freiheit für ihr selbstbestimmtes Leben findet. Kultur ist viel mehr als Folklore und gerade in alten Städten, mit einer langen Geschichte, wünsche ich mir immer besonders auch Zeichen von etwas Aktuellem, von zeitgenössischem kulturellen Leben. In diesem Sinne ist es schön festzustellen, dass Hermannstadt 2007 Kulturhauptstadt Europas war und dass es hier immer noch viel zu sehen und zu entdecken gibt.  

Bemerkenswert in Zusammenhang mit der Kultur ist vielleicht auch noch das offensichtlich innige Verhältnis der Hermannstädter zu ihren Büchern. Bücher scheinen allerseits sehr beliebt, was mich tatsächlich etwas überrascht hat. Am Bahnhof findet sich sogar ein Bücherautomat, für das schnelle „Buch-to-go“. Ich wußte gar nicht, dass es sowas gibt und das Angebot reicht über Bestseller und Schundromane bis hin zu anspruchsvoller Literatur. Am Flughafen gibt es in der Wartehalle einen offenen Bücherschrank, wo man sich frei mit Lesestoff bedienen kann. Im Begegnungs- und Kulturzentrum Friedrich Teutsch findet sich das Büchercafé ERASMUS und der angegliederte Schiller Verlag ist speziell mit vielen Büchern über Siebenbürgen und Rumänien beste Anlaufstelle, wenn man sich mehr mit dem Leben und der Geschichte der Menschen hier beschäftigen möchte. 

Ein Sonntagmorgen in Hermannstadt: 

Der historische Stadtkern ist in eine Ober- und eine Unterstadt gegliedert. Die Oberstadt ist sehr prunkvoll. Durch die breite Fußgängerzone „Strada Nicolae Bălcescu“ kann man elegant ins Zentrum flanieren und mit „Piata Mare“ (Großer Platz) und „Piata Mica“ (Kleiner Platz) sind hier die zwei wichtigsten Orientierungs- und Ausgangspunkte für alle Streifzüge. 

Die Unterstadt lockt dagegen mit niedlichen kleinen Straßen und Gassen, malerischen Hinterhöfen und verwinkelten Treppen. 

Egal ob Ober- oder Unterstadt – überall folgen einem die scheelen Blicke der Häuser mit den Augen. Diese ursprünglich zu Belüftungszwecken gebauten Luken im Dach sind mit ihrer Augenform inzwischen teils argwöhnische, teils verschmitzt blinzelnde Zeugen des städtischen Trubels und Treibens. 

Die Oberstadt wird nach Süden von einem imposanten Wall mit trutzigen Wehrtürmen abgeschlossen, die historische Unterstadt endet mit dem Zibin-Fluss, wo heute ein riesiger Bauernmarkt, der Piața Cibin, zum Bummeln und Fotografieren einlädt. 

Auf dem Zibin Markt, dem großen traditionellen Bauernmarkt:

Sibiu/Hermannstadt Tourismus unterhält eine gute Webseite mit wertvollen Tipps und Informationen. Viele Besucher kommen nur kurz, für einen Nachmittag im Rahmen einer größeren Rumänienreise. Das Standard-Programm ist dann neben Piata Mare und Piata Mica noch die Lügenbrücke, das Brukenthal-Museum mit der wunderschönen „Young Lady in Blue“ vom Rumänischen Maler Mișu Popp und die Besteigung des Rathausturmes. Ich denke aber, dass zwei Tage besser wären: Man kann das Zentrum schnell überblicken und auch die Hauptsehenswürdigkeiten schafft man vielleicht sogar im Eilschritt innerhalb eines Nachmittags. Aber das wirklich Besondere und Einzigartige erschließt sich am besten, wenn auch noch Zeit für ausgedehnte Spaziergänge, eine kleine Nachtwanderung und Entdeckungstouren bleibt. Abenteuerlich ist es, auf den Turm der evangelische Stadtpfarrkirche zu steigen. Der riesige Cibin Markt ist besonders für Fotografen interessant und ganz nebenbei kann man sehr gemütlich in verschiedenen Cafés sitzen, Leute beobachten und Postkarten schreiben. 

Schön finde ich, auf Spurensuche zu gehen. Es ist immer etwas besonderes um Orte, an denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenleben. Wenn eine Gemeinschaft über Jahrhunderte hinweg trotz aller Kriege, trotz all den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen eines Landes bestehen bleibt, hat sie in sich eine sehr ausgeprägte kulturelle Identität. Zeichen davon zu entdecken, finde ich beim Reisen interessant. Sei es in Bozen, sei es in Brooklyn oder eben jetzt hier in Hermannstadt – wenn man durch die Stadt geht, trifft man natürlich viele verschiedene Menschen: Im Bus, beim Einkaufen, auf der Post, in der Nachmittagsonne…  

Der Weihnachtsmarkt auf der Piața Mare: 

Den Weihnachtsmarkt auf dem Großen Platz mitten in der Oberstadt scheinen alle sehr zu mögen. Jauchzende Kinder fahren mit einer kleinen Lokomotive im Kreis, Pärchen schlendern händchenhaltend durch die goldene Nachmittagssonne, es gibt eine Eisfläche zum Schlittschuhlaufen und neben mir fand sich eine Gruppe älterer Damen ein, jede mit frisch gebrutzelter Forelle knusprig vom Grill bestens ausgestattet. Viele Menschen sitzen einfach nur auf einer Bank am Rande und gucken. 

Zum Abschluss meiner Reise bin ich aus der Stadt und knapp 5 Kilometer bis zum Flughafen gewandert. Ich hatte noch viel Zeit, kaum Gepäck und wollte nach all der Schönheit und Gemütlichkeit des Zentrums zumindest einen kleinen Eindruck von den Vororten von Hermannstadt bekommen.

Vororte, auf dem Weg aus der Stadt heraus: